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Sonntag, 20. Februar 2011

Der Künstler ist eine Ware und seine Kunst ein Produkt!?

Hanseatic Institute for Entrepreneurship and Regional Development (HIE-RO) 
Universität Rostock,  
5. Ringvorlesung 2008 - Culture Entrepreneurship
http://www.ringvorlesungen.de/rvs/fifth

Der Künstler ist eine Ware und seine Kunst ein Produkt!?

Persönlichkeitsprofil Künstler

Mit dieser provokanten Aussage wird ein künstlerisches Individuum zunehmend konfrontiert werden. Wirtschaft und Kunst schmieden neue Allianzen. Viele Künstler arbeiten heute als Teil einer Dienstleistungsgesellschaft. Eine unklare, vielfältige Marktlage mit konkurrierenden und/oder kooperierenden Kulturanbietern, die Verschiebung von kontinuierlicher zu projektbezogener Arbeit, der Trend zu eigenverantwortlicher Karriereplanung und die veränderten Maßstäbe einer medialen Massenkultur verlangen von Künstlern zunehmend unternehmerisches Denken und die Entwicklung von Vermarktungsstrategien. Das schafft Unsicherheit, aber auch kreative Freiräume für neue Gestaltungsmöglichkeiten (Formen der Interdisziplinarität innerhalb der Künste, sowie zwischen Künsten und Geisteswissenschaften).

Der Staat hinterfragt seine Kulturhoheit zugunsten privater Initiativen. Das zeigt sich u. a. in der Erneuerung des Stiftungsrechts. Kunst wird zum Wirtschaftsfaktor, z. B. bei der Entwicklung von Corporate- Identity- Konzepten in Firmen und in der Etablierung einer internen und externen Unternehmenskultur. Außerdem entwickelt sich in die Kunst mehr und mehr zu einer Industrie mit marktwirtschaftlicher Arbeitsweise.

Fragen: 5. HIE-RO Ringvorlesung 2008 "Culture Entrepreneurship"
-         Der Künstler als Unternehmer" ?
-         Wie stehen die Chancen für innovative, junge "Köpfe" in der Kultur- und Kreativwirtschaft?
-         Wie kann man sich mit Kunst, Schauspiel und Musik selbstständig machen und langfristig erfolgreich bleiben?
-         Wie vermarkte ich meine Kunstwerke, meine Band, mein Theaterstück...?
-         Wie baut man Netzwerke auf, um an Geldgeber, Aufträge und Informationen zu kommen?
-         Wie kann man Kultur-Events erfolgreich gestalten?  ...

 
Vortrag, gehalten während der HIE-RO (www.hie-ro.de) Ringvorlesung 2008 "Culture Entrepreneurship"  am 11.12.2008 in Rostock in der Hochschule für Musik und Theater. 

In meinem Vortrag habe ich versucht, wesentliche Diskrepanzen und Schwierigkeiten bei künstlerischen Existenzgründungen aufzuzeigen. Diese liegen "in der Natur der Sache". Künstler und Markt. Dieses Wortpaar beschreibt grundverschiedene Seinszustände in Modalitäten, Formalien, Zielen und Prozessen.

Jetzt ein kurzer Abriss relevanter Probleme.

Vorbemerkung: Konstituierendes Merkmal unserer Gesellschaft ist die soziale Marktwirtschaft mit unterschiedlicher Wichtung zwischen "sozial" und "Markt", je nach politischer Priorität. Primäres Ordnungsprinzip sind finanzielle Abläufe. Hauptsächliches Regulativ ist das liebe "Geld". Ein Blick auf die Verteilung des Staatsetats und speziell das Kulturressort verdeutlicht die Spielräume kulturellen Unternehmertums.

Während im öffentlichen Diskurs das Berufsbild Künstler gern als Beispiel für grenzenlose Kreativität bei der Gestaltung der eigenen Arbeitsbiographie besonders betont und die unkonventionelle Herangehensweise an komplexe Problemstellungen hervorgehoben werden, fragen sich die wenigsten, warum das so ist.

Künstler sind "einzelkämpferische" Einzelkämpfer, die nur deshalb aus "Nichts" etwas - im günstigsten Fall - Besonderes schaffen, weil die Rahmenbedingungen bei der Verwirklichung eigener Ideen sie dazu zwingen. Ein hohes Maß an Selbstausbeutung und Opferbereitschaft ist die zu gern verschwiegene Vorraussetzung beim Kunstschaffen. Das heißt nicht, dass Künstlern, wegen ihrer Neigung zum "Wahren", "Schönen" und "Guten", ein besonders geschützter Arbeitsraum geboten werden muss, aber Aufwand und Ergebnis stehen zu oft in einem großen Missverhältnis. So etwas banales, wie die Würdigung der organisatorischen und künstlerischen Vorbereitung, bevor man das Konzert, das Schauspiel, die Oper, die Ausstellung genießen kann, wäre angemessen. Dies tut aber der "Markt" nicht. Er bewertet nur Produkte. Künstlern ist aber der Schaffensprozess genauso wichtig wie das "Produkt". Eine mögliche Form von Würdigung wäre z.B. die Anerkennung der Berufsfelder als Ganzes (SchauspielerIn ist immer noch kein anerkannter Beruf trotz 8-semestrigen Hochschulstudiums), oder eine Umverteilung von Ressourcen, die dem künstlerischen Schaffen auch gerecht wird.

Beim Thema der Ringvorlesung bin ich gespalten. Einerseits sind kulturelle Unternehmensgründungen in jedem Fall wünschenswert und notwendig. Andererseits ist die Gründung eines künstlerischen Unternehmens oft keine freiwillige Wahl, sondern existenzielle Notwendigkeit. Nichts gegen "Druck" als Initial für künstlerische Unternehmensgründung, nur mit diesem (wirtschaftlichen) Druck ist keine wirklich künstlerische Arbeit möglich. Künstler wollen kein Unternehmen gründen, um zu expandieren oder Profite zu maximieren, sondern in Freiheit eine künstlerische Idee verwirklichen, jedenfalls die meisten.

Ein unvereinbarer Punkt für viele Kulturschaffende sind die formalen Vorraussetzungen und Bedingungen einer solchen Unternehmung. Bei Begriffen wie Kosten-Nutzen-Rechnung, Marktanalyse, Profitmaximierung und/oder Marktpositionierung sind Künstler ganz schnell nicht mehr im selben Raum, da sie reflexhaft das Weite suchen. Sie befürchten und das sehr oft zu recht, die Beschneidung ihrer künstlerischen Freiheit.

Die meisten Gründungen haben dann oft nur einen als positiv bewerteten Grund. Sich als Künstler die Freiheit zu schaffen, um das eigene Verständnis von Kunst und die damit verbundenen Ideen und Visionen zu verwirklichen. Nach Altbundeskanzler Helmut Schmidt, soll der zum Arzt gehen, der in der Politik Visionen hat. Das mag dort stimmen, im künstlerischen Bereich sind sie der Arbeitsgrund.

Ein weitere Punkt ist der Kunst-Markt. Er schafft solche Arbeitsbedingungen, die eine Gründung regelrecht erzwingen und die oft nicht freiwillig vollzogen wird (viele Künstler konkurrieren um sehr begrenzte Etats und Arbeitsmöglichkeiten, d.h. die Ausstattung mit Ressourcen ist mangels Verständnis und Einstellung zur Sache per se unterbewertet). Ein Schauspieler, der mehrere Jahre fest engagiert, nach BAT-Kriterien - Normalvertrag-Bühne entspricht etwa dem Bundesangestelltentarif (BAT) - entlohnt und vertraglich in seine Arbeit eingebunden ist, dessen Vertrag  "nichtverlängert" wird, sein "Typ" aber gerade nicht gefragt ist, hat gar keine andere Wahl, als sich "freischaffend" zu machen. Das ist bereits eine Unternehmensgründung. Nur eine solche Unternehmensgründung unterscheidet sich fundamental von der Gründung eines Handwerkbetriebes z.B.

Es gibt einen Satz von einem großen russischen Schauspiellehrer: "Der Schauspieler ist Objekt und Subjekt seiner Arbeit". Übersetzt kann das bedeuten, er ist Produzent und Produkt gleichzeitig. Bewertet man das Produkt, bewertet man auch direkt den Produzenten und den Produktionsprozess. Es gibt keine Distanz zwischen Schaffendem und Geschaffenem.

Ein weiteres Problem ist die Bewertung des Profits künstlerischen Unternehmertums. Eine Bank freut sich zwar über die Generierung von Mehrwert, aber von ideellem Mehrwert bei einer gelungenen Kunstproduktion bekommt sie ihren Kredit auch nicht erstattet. Wenn Künstler eine Wertschöpfung erreichen, dann entsteht Mehrwert meist im Bereich Ästhetik und/oder Idealismus und/oder Visionen. Das ist nicht wirklich abrechenbar. Dabei ist "kultureller Mehrwert" oft langfristiger und nachhaltiger. Stichpunkte: Entspannung, Erholung, Horizonterweiterung, Interaktion verschiedener sozialer Milleus. Ein gut aufgestelltes, vielfältiges und lebendiges kulturelles Umfeld macht eine Region oft erst attraktiv, besonders in industriellen Ballungsräumen.

Grundsätzlich besteht die Frage, ob es überhaupt stimmt, das nach aktueller Auffassung, was Unternehmertum heute darstellt, der Künstler eine Ware und seine Kunst ein Produkt ist.

Viele Bekannte von mir, die "in Kunst machen", verneinen das vehement. Ist diese Ablehnung verständlich, in jedem Falle ja. Ist sie zeitgemäß. In jedem Falle nein.

Denn mit dieser provokanten Aussage wird ein künstlerisches Individuum zunehmend konfrontiert, weil Wirtschaft und Kunst neue Allianzen schmieden. Viele Künstler arbeiten heute als Teil einer Dienstleistungsgesellschaft.
Wirtschaftlich betrachtet, erbringt ein Künstler eine "immaterielle Dienstleistung". Eine unklare, vielfältige Marktlage mit konkurrierenden und/oder kooperierenden Kulturanbietern, die Verschiebung von kontinuierlicher zu projektbezogener Arbeit, der Trend zu eigenverantwortlicher Karriereplanung und die veränderten Maßstäbe einer medialen Massenkultur verlangen von Künstlern zunehmend unternehmerisches Denken und die Entwicklung von Vermarktungsstrategien. Das schafft Unsicherheit, aber auch kreative Freiräume für neue Gestaltungsmöglichkeiten (Formen der Interdisziplinarität innerhalb der Künste, sowie zwischen Künsten und Geisteswissenschaften).

Außerdem verändert der Staat seine Kulturhoheit zugunsten privater Initiativen. Das zeigt sich u. a. in der Erneuerung des Stiftungsrechts. Kunst wird zum Wirtschaftsfaktor, z. B. bei der Entwicklung von Corporate-Identity-Konzepten in Firmen und in der Etablierung einer internen und externen Unternehmenskultur. Außerdem entwickelt sich in die Kunst mehr und mehr zu einer Industrie mit marktwirtschaftlicher Arbeitsweise.

Hubert Christian Ehalt schreibt: "Kunst und Kultur sind am Beginn des 21. Jahrhunderts wichtige Entscheidungs-, Aktions- und Gestaltungsfelder im politischen, im gesellschaftlichen und im wirtschaftlichen Handeln, im Leben der Individuen ebenso wie in dem der kleinen und großen sozialen Einheiten. … … Kultur bezeichnet und betrifft die Bewältigung, Aneignung und Gestaltung der Welt, Kunst die professionelle ästhetische, reflexive und kritische Auseinandersetzung mit dieser Welt, im impliziten oder expliziten Auftrag der Gesellschaft. … … Die Gestalter und Manager des immer mehr nach globalen Spielregeln funktionierenden wirtschaftlichen Lebens möchten die schöpferischen Potenziale der Kunst und der Künstlerinnen und Künstler, die sich über lange Zeiträume in a prima vista funktionsfreien Räumen entwickeln und entfalten konnten, für ihre Zwecke einer florierenden Wirtschaft und der Profitmaximierung nutzen. … …  Dementsprechend dominieren zwei Begriffe – Kunstmarkt und creative industries -, die beide Ausdruck der allgegenwärtigen Ökonomisierung des gesellschaftlichen Lebens sind, die aktuellen Diskurse über Kunst." 
Und weiter, und dieser Satz ist aus der Kunstperspektive Sprengstoff: "Der Kunstmarkt ist besttrebt, seine Objekte (Kunstprodukte Anm. d. Verf.) marktgängiger zu machen … . (Aus: Eric J. Hobsbawn, Hubert Christian Ehalt: Kunst und Kultur am Ausgang des 20. und am Beginn des 21. Jahrhunderts. Wiener Vorlesungen • Picus-Verlag)

Vorab, diese Buch empfehle ich sehr, aber aus Sicht des Künstlers tut es richtig "weh". Kurz gefasst, ist man erst mal im Markt, hat man die Gesetze, z.B. von Angebot und Nachfrage, zu befolgen. Und dieses Prinzip trifft nicht mehr nur Einzelne, die das so wollen, sondern der ganze Bereich wird in Zukunft so arbeiten, wenn er nicht schon tut. Das wollen Künstler oft nur bedingt oder gar nicht. Warum? Das liegt am Selbstverständnis der Kunstschaffenden und deren Arbeitsweise. Ein wichtiges Stichwort ist der "künstlerische Prozess".
Egal welche Kunstrichtung, lässt er sich nicht logisch formalisieren, wie es wirtschaftliche Prozesse verlangen. Ein Künstler schafft im Spagat von totalem kreativen Chaos und künstlerisch-handwerklichen Ordnungsprinzipien. Am Anfang der Reise ist oft das Ergebnis nicht bekannt. Das  wirtschaftlich zu managen, ist äußerst schwierig. Und deshalb zum Kern meines Vortrages. Dem (Miß)Verhältnis von Künstlern und Kulturmanagern. Da ich in beiden Bereichen tätig bin, habe ich Einblick in die Prozesse und muss oft feststellen, dass zwischen Künstlern und "Kunstverwaltern" ein angespanntes Verhältnis herrscht. Warum ist das so?

Einfach gesagt, das Unverständnis über die Arbeitsweise des Anderen und die mangelnde Bereitschaft Konsens durch Verstehen zu erzeugen. Das hat auch viel mit der Machtverteilung zu tun. Da Management und Verwaltung oft mit Geldverteilung gleichgesetzt wird, glauben sich künstlerisch Schaffende in Abhängigkeit von Formalien und Apparaten des Marktes und passen sich an. Das verhindert die notwendige Behauptung künstlerischer Freiräume und der Akzeptanz individuell geprägter Arbeitsprozesse. Viele Kulturmanager wissen oftmals gar nicht, was die von Ihnen verwaltete Klientel da so macht und wie ein künstlerischer Prozess je nach Gebiet abläuft. Und viele wollen es gar nicht wissen. Denn die Kreativindustrie ist von Jahr zu Jahr umsatzstärker geworden, d.h. das man durch Verwaltung von Kunst durchaus viel geld verdienen. Andersherum interessieren sich viele Künstler auch nicht wirklich für die Arbeitsabläufe derer, die Ihnen die Säle füllen.

Das ist fatal. Denn in einem Bereich, der von den Ressourcen ohnehin schlecht aufgestellt ist, sind interne Spannungen nicht hilfreich.

Darum ist ein weiteres, oft unterschätztes konstituierendes Merkmal der Kulturwirtschaft die Verbindung von Individuen unterschiedlichster subjektiver Ausprägung, und die Anerkennung der daraus resultiierenden Eigenarten, respektive Eigenwilligkeiten. Und mit der Anerkennung ist das so eine Sache. Es herrscht oft die stillschweigende Vereinbarung, wenn ich schon so schlecht bezahlt werde, soll ich wenigstens anerkannt werden, in dem was ich tue. Die wird aber immer weniger gegeben, da formale Kriterien, die Kunstproduktion bestimmen, nach dem Motto, Hauptsache das Produkt verkauft sich, wie wir dahin kommen ist egal. In der Kultur und im Besonderen der Kunst kann man da oft von einem regelrechten "Clash of Subjects" sprechen.

Dieses Verhältnis ist exemplarisch für die Aversion von Künstlerinnen und Künstlern, sich in den Markt mit eigenem Unternehmen zu begeben. Denn dann, so behaupten viele, geht ihre künstlerische Identität verloren, wobei damit auch die eigene Persönlichkeit gemeint ist. Das ist zum Teil richtig, da siehe oben, "Objekt" und "Subjekt" seiner Arbeit.

Somit scheitern Gründungen im kulturell-künstlerischen Bereich nicht an formalen, sondern an subjektiven Kriterien. Das heißt aber nicht, Künstler sind für Existenzgründungen ungeeignet.

Ganz im Gegenteil. Künstlerische Arbeitsweise hat die ganze Entwicklung von Arbeitskultur im digitalen Zeitalter vorweg genommen. Wir erleben zur Zeit eine Immaterialisierung von Arbeit und ihren Ergebnissen und eine teilweise Abgabe der Kontrollmöglichkeit von Arbeitsabläufen, da sich die Komplexität von Arbeitsystemen allein durch Digitalisierung und Globalisierung immens vervielfältigt hat.

Künstler sind die "Multitasker" schlechthin, mit hoher "Leidensfähigkeit" und Kondition, nur eines muss Ihnen der Markt gewähren, Sinngebung und Anerkennung bei dem was sie in den Markt einbringen.

Am Ende eine Anekdote vom Filmregisseur Stanley Kubrick:
Aus der Dankesrede anlässlich des BAFTA-Awards: "Ich glaube der Ikarus-Mythos ist falsch interpretiert worden. Die Deutung lautet nicht, flieg nicht zu hoch, sondern es muss eher heißen, vergiss das Wachs, mach bessere Flügel.

Zur Person:
Steffen Steglich, geb. 30.05.1966
steffen.steglich@googlemail.com
Schauspieler (Studium Schauspiel 1988 - 1992 in Rostock.
Kulturmanager, Konzeptberater (Studium Universität der Künste 1995 - 2000 in Berlin)

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